Eulen in der Chemotherapie

Diese Seite heißt Eulenseite, weil Eule Nr. 1 sie Eulenseite genannt hat.

 

 

 

Einfach.

 

 

 

Bemerkenswert finde ich, dass ich mich in der ersten Phase meiner Chemotherapie, als ich sie noch gar nicht kannte, in eine Schneeeule verliebt hatte.

 

     

 

Aber ich will von vorn berichten...

 

„Viel Bewegung an frischer Luft“ wird einem Chemopatienten an' s Herz gelegt. Und es ist einer DER Sätze, die meines Erachtens beweisen, dass die Ärzte – so klug sie auch sind – es nicht erlebt haben. „Bewegung an frischer Luft!!!“ - Als man mir den Tipp gab, konnte ich kaum stehen. Kam aus eigener Kraft nicht bis zur Küche, die drei Treppen um die Wohnung zu verlassen, stellten ein unüberwindliches Hindernis dar.

 

 

 

Mein Mann (der sich in dieser Phase durch Nerven-behalten, Kotz-Eimer-spülen, Mut-zu-sprechen, auf-dem-Weg-zum-Klo-stützen und dabei nicht-von-Scheidung-träumen ausgezeichnet hat) schlug augenrollend vor, das Flurfenster zu öffnen. - So „bewegte“ ich mich immer dann an „frischer Luft“, wenn ich vom Bett zum Bad torkelte...

 

 

 

Dennoch - der brave Krebspatient tut ja alles, was der Arzt ihm sagt - gingen wir raus, sobald ich mich irgendwie auf den Beinen halten konnte. Und da unser Stadtteil ziemlich hässlich ist, gingen wir in den hiesigen Zoo. Der ist hübsch.

 

 

 

Und während sich die Chemo hinzog und während es mir schlechter und schlechter und noch schlechter ging, lernte ich den Zoo gut kennen. Bald wusste ich, unter welchem Baum der beste Schattenplatz war, wusste, dass das Blesshuhn Nachwuchs hatte und die Seelöwen vormittags am aktivsten sind.

 

     

 

Und ich sah die Schneeeulen brüten... 

 

 

 

Das Gehege der Schneeeulen war leicht abgesperrt, ein Schild bat EINDRINGLICH um Ruhe. Es sei sehr stressig für die Schneeeule zu brüten... Man möge Rücksicht nehmen, keine Hunde, kein Geschrei... BITTE... und in der hintersten Ecke des Geheges, links an der Seite, hing eine Schneeeule über ihren Eiern. Sie saß nicht, - sie hing... Gerupft und zerfleddert und sich scheinbar nur mühsam aufrecht haltend hing der ursprünglich wunderschöne Vogel kraftlos über den Eiern, während ein Stück weiter - ein ebenfalls angestrengt und gerupft aussehendes - Schneeeulen-Männchen auf einem Aussichtsposten Wache zu halten schien... Beide kauerten dort mit anscheinend ALLERletzter Kraft. Und beide waren sooooo tapfer...

 

     

 

Noch 6 Monate später kommen mir die Tränen, wenn ich an diese beiden Eulen denke. Ich konnte es sooooooo nachfühlen, wie es sich anfühlen musste Tag und Nacht auf dem Eiern zu sitzen... SOOOOOOO unfassbar müde. Und alles so SCHRECKLICH laut. Und anstrengend. Und mühsam. Und die kleinen Eulen waren ja noch nicht einmal geschlüpft. Würde nicht DAS der größte Stress? Aber ein Moment der Schwäche brächte den Tod... Sie MUSSTEN doch stark sein... MUSSTEN... Was sollte nur werden...

 

      

 

Es mag sich albern anhören, aber nur ein paar Wochen nach meiner Krebsdiagnose machte ich mir große Sorgen um „meine“ Schneeeule. Was, wenn sie den Strapazen nicht gewachsen war? Würde sie an Entkräftung sterben? Würden all ihre Mühen umsonst gewesen sein? Und ihr Männchen, dass sie so tapfer begleitet und beschützt hatte allein zurück lassen? Es würde ihm das Herz brechen, ich war ganz sicher...

 

      

 

Diese brütende Schneeeule wurde zu einer lebenden Metapher meiner Anfänge in der Chemotherapie. War es zu schaffen, wie alle behaupteten? Oder war ich doch die Ausnahme von der Regel, die es NICHT packt? Was, wenn ich nicht durchhielte? Es schien und schien und schien kein Ende zu nehmen. Und während mein tapferer Mann arbeitete, den Haushalt schmiss, mich tröstete und mir Mut zu machen versuchte, lag ich im Bett und versuchte verzweifelt den Gedanken nicht zuzulassen, dass ich es mir EHRLICH nicht zutraute... Noch so eine Dosis, geschweige denn mehrere...

 

     

 

Im Rückblick war DAS die schlimmste Zeit. Das Gefühl es nicht zu schaffen. Die Angst vor der Frage, was werden sollte, wenn ich nicht durchhalte? 

 

 

 

Auf meinem Weg durch die Hölle hat mich eine Schneeeule begleitet. Und als ich eines Tages heulend und kotzend, mit zitternden Knien und in Schlangenlinien das Krankenhaus verlassen durfte (einige Infusionen bekam ich direkt stationär) – da war es geschafft. Die kleinen Schneeeulen waren geschlüpft. Sie schliefen und fraßen und schliefen. - Ich tat auch nichts anderes. Und das Aufziehen der Küken schien für meine Schneeeule im Vergleich zum Ausbrüten ein Spaziergang – wie für mich im Vergleich mit der EC ALLES was danach kam ein Spaziergang war.

 

     

 

Und so ist auch DAS für mich metaphorisch für die Krebstherapie geworden. Während man noch damit beschäftigt ist zu glauben, dass man es nicht packt – ist es ganz plötzlich vorbei...

 

      

 

Die kleinen Schneeeulen sind groß und ausgezogen. Ich fahre nächste Woche zur Kur. Wir haben überlebt. Die Schneeeule und ich...

 

 

 

 

 

 

 

Kommentare: 6

 

  • #1

 

Eule Nr. 1 (Samstag, 14 Januar 2017 18:58)

 

Liebe Eule Nr. 2,

ein großes Welcome on Board, ich freu mich sehr, dass du nun auf der Eulenseite eingezogen bist.
Und es freut mich insbesonders, dass auch du schon deine Erfahrung mit mancher Eule - wenn auch in einer sehr harten Zeit- gemacht hast.

Wir wissen nicht, was kommt- aber wir vertrauen darauf, dass alles gut wird.

Ich freue mich auf deine Texte liebe Eule Nr. 2.

 

  • #2

 

Franzi k (Sonntag, 15 Januar 2017 11:39)

 

Liebe Eule Nr. 2,

Ichvgreue mich sehr, dass du jetzt ach schreibst! Die Menschen brauchen viel mehr von euren tiefen Geschichten, um das Leben zu verstehen und was wirklich wichtig ist. Ihr seht und fühlt das Leben. Das macht euch zu diesen wahnsinnigen power Supergirls!
Ich drücke euch!

 

  • #3

 

Mohnblume (Sonntag, 15 Januar 2017 11:58)

 

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*** im neuen Gefieder als Eule 2 - das find ich ja mal toll! Ich freue mich, dass Dein schönes Schreiben jetzt auch mal "der breiten Öffentlichkeit" ;-) zugute kommen darf.
Die Schnee-Eulen Geschichte ist ja mal wunderbar. Ich finde ja man müßte Zoo-Tickets als Chemobegleittherapie bei der Krankenkasse absetzen können, es ist eine ganz tolle Ablenkung. Meine beste tierische Freundin während der Therapien war eine Schnappschildkröte im Frankfurter Zoo. Herrlich griesgrämig und - entgegen des Schildes "bewegt sich praktisch nie" - randalierte sie immer schön in ihrem Aquarium herum, wenn ich sie besuchen kam.

 

  • #4

 

Sabine aus BaWü (Donnerstag, 19 Januar 2017 17:39)

 

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Wunderbar, dass Du jetzt hier auch schreibst. Ich liebe Deine Kommentare zu Eule Nr. 1's Texten - auch wenn Du mir oft das Wort aus dem Mund nimmst.
Darf ich fragen wie alt Du bist? Welchen Beruf hast Du? Gibt's ein Hobby?
Eine Frage noch: bin ich die einzige, die Text B und C nicht öffnen kann? Oder ist da noch 'ne kleine Baustelle?
Liebe Grüße

 

  • #5

 

Eule Nr2 (Donnerstag, 19 Januar 2017 20:50)

 

Danke für den Hinweis, jetzt solltest Du alles öffnen können. :-) Wir halten schon einmal fest, dass ich mich in technischer Hinsicht öfters mal ungeschickt anstelle. SCHREIBEN ist mein Hobby. - Der Laptop ist nur zum Mittel zum Zweck...
Ich bin 37 Jahre alt und hatte nach etlichen Jahren im Job gerade den Traum wahrgemacht noch einmal zu studieren: Jura. Der Krebs ist mir dazwischen gekommen, aber da ich sowieso "eigentlich" schon viel zu alt bin, ist es auch schon egal... also werde ich im Frühjahr versuchen dort wieder anzuknüpfen. Mal sehen, wie das läuft.
Hobbys? - Nun, schreiben natürlich. Außerdem lesen, schwimmen, kochen, spielen, wandern, singen, radfahren... Ich gucke gern mit meinem Mann Krimis und rate wer der Mörder war (doppelte Punktzahl, wenn man den Mörder errät, bevor das Opfer tot ist...). Ich denke gern logisch und zerbreche mir gern den Kopf über theoretische Fragen (deshalb auch die Uni...). Ich interessiere mich für Literatur und Geschichte und ich mag kontroverse Diskussionen und Gedankenaustausch. Ich gehe gern in die Sauna, spiele Gitarre und stricke gern. Ich bin sehr loyal (auch wenn das manchmal anders wirkt, weil ich immer glaube sie alle müssten doch WISSEN, dass ich für sie durchs Feuer gehen würde und "nur" anderer Meinung bin). Ich mache mir "gern" viel zu viele Sorgen, insbesondere um Dinge die niemand außer mir problematisch findet. Ich hab gern die Bude voll Besuch, ich mag Kneipenquizze, Krimidinner, Grillabende und Live-Musik.

Du siehst: Sterben wär gerade echt doof gewesen, ich hab noch sooooooo viel vor...

 

  • #6

 

Sabine au BaWü (Freitag, 20 Januar 2017 11:05)

 

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Ich danke Dir für Deine Infos. Jetzt kann ich mir noch besser ein Bild von Dir machen. In Verbindung mit Deinen Texten ergibt sich daraus eine sehr, sehr sympathische, pragmatische, mit beiden Beinen im Leben stehende junge Frau, die voller Pläne steckt. Dein Blick auf deine Umwelt und Situation ist faszinierend.
Darum: ran an den Laptop und hau in die Tasten! Ich warte gespannt.