#C Strangers on a train

Vor ein paar Jahren zogen wir um. Quer durch Deutschland. Und aus Gründen, die hier zu weit führen würden, fuhr zuerst mein Mann, dann fuhren die Möbel - und so kam es, dass am Ende ich mit zwei Koffern, Seesack, Reisetasche und einem one-way-ticket den Nachtzug bestieg.  Ohne Wohnungsschlüssel. Ohne Job. Ohne Freunde in jener Stadt in der Fremde, die unser neues Zuhause werden sollte.

 

Es war ein seltsames Gefühl alles hinter mir zu lassen. Ich fror (dicke Jacke und feste Schuhe mit den Möbeln 2Tage vor dem Kälteeinbruch vorausgeschickt), war überarbeitet (neben einem Fulltimejob hatte ich gepackt, renoviert und versucht alle meine Freunde noch möglichst oft wieder zu sehen.) und ich hatte Angst.

 

 

 

Und so lehnte ich alle Angebote mich zum Bahnhof zu fahren ab und nahm die Straßenbahn. Ich war zu früh, hatte mehr Gepäck als ich "eigentlich" tragen konnte und es gab nichts zu tun. Der Duisburger Hauptbahnhof ist einer der hässlichsten den Ruhrgebiets, aber - oder vielleicht gerade deshalb -  ich habe ihn immer gemocht. Ich mag bittere Wahrheiten, mag harte Fakten und mag bröckelnden Lack. Ich mag es, weil es mir ehrlicher vorkommt. DAS ist das Leben. Die bunten Bilder, die uns überall im Fernsehen und im Netz begegnen sind Show. Elegante Fassaden und schöner Schein sind nicht mein Gebiet. Ich bin ein Ruhrpott-Kind. Harte Schale. Kern, von dem man nicht weiß, ob er noch zu kitten ist. SO geht die Wahrheit.

 

 

 

Ich saß also am Übergang der Duisburger U-Bahn zu den Zügen (wärmster Ort des Bahnhofs) und wartete. Ich hatte gehofft, dass vielleicht mein Lieblingsstraßenmusiker hier sein würde um mir die Wartezeit zu vertreiben... aber an diesem Tag kam er nicht. Wer kam, war eine junge Frau - etwa mein Alter - die zu erzählen begann.

 

 

 

Ihre Geschichte war eine der Geschichten, wie es sie wahrscheinlich tausendfach gibt und wie man sie in meinen Kreisen trotzdem nicht oft hört. Also PERSÖNLICH in einer PRIVATEN Unterhaltung OHNE Hintergedanken hört, meine ich.

 

Sie erzählte von sich. Dass man ihr ihre Tochter weggenommen hatte. Dass Ihr Freund sie auf den Strich schickte ("Ach Susi, die Männer..."). "Über 30.000,00 Euro habe sie in einem Jahr verdient. Aber natürlich bekomme ER das Geld, SIE sei pleite... Sie erzählte einmal an einen gefährlichen Freier geraten zu sein. Sie sei entkommen durch einen Sprung aus dem Fenster. "Beide Beine zwar gebrochen, aber entkommen." Sie erzählte von Drogen und dass sie auf dem Weg nach Düsseldorf sei um Nachschub zu kaufen. Und ich, die ich mich für so zynisch und abgeklärt gehalten hatte. Die ich dachte in meinem Job schon JEDE Geschichte gehört zu haben und durch nichts zu schocken zu sein, ertappte mich bei hilflosen, idiotischen Fragen wie, ob sie denn nicht aufhören wolle mit dem Zeug?  Und ihre Tochter stolz machen?

 

 

 

Sie konnte es mir nicht erklären, natürlich konnte sie es nicht. Und ich konnte ihr nicht helfen, natürlich konnte ich es nicht. Und ich war im Begriff wegzuziehen und wir hatten nichts gemeinsam und wir kannten uns überhaupt nicht. Und so half sie mir mit meinem Gepäck und brachte mich zum Bahnsteig. Sie küsste mich zum Abschied und sagte "Wenn Du meine beste Freundin wärst, würde ich jetzt heulen."

 

 

 

Ich habe ihren Namen vergessen. Nadine vielleicht? Ich würde sie nicht wiedererkennen, wenn ich sie träfe. Ich habe sie nur etwa eine Stunde meines Lebens gekannt. Und es ist Jahre her.

 

 

 

 

 

Es gibt wenige Menschen, die mich in meinem Leben so berührt und beindruckt haben. Ich werde sie niemals vergessen. Und ich weiẞ nicht einmal wieso.

 

 

 

"Tell me a story, I'll sing you a song. For tomorrow the road will be calling us on." (Colum Sands)

 

 

 

Kommentare: 1

 

  • #1

 

Eule Nr. 1 (Mittwoch, 18 Januar 2017 00:34)

 

 

 

Ja Duisburg, da stand ich auch am Gleis auf dem Weg nach Hamburg. Manchmal frage ich mich warum diese Menschen einem begegnen, was sie uns geben. Vielleicht den Blick auf unser Leben, den Blick auf das was wir haben. Umarmung