#I If you are going through hell...

#I If you are going through hell...

Heute staune ich mit welcher Gelassenheit ich die zweite Chemotherapie anging. Ich glaube es war so ein "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf" Gedankengang. Es KONNTE nicht wieder so grauenhaft werden, schließlich wäre das unerträglich, nicht wahr? - Nun... Es wurde...

 

 Ich hatte mir vorgenommen perfekt vorbereitet zu sein und JEDE noch so kleine Erleichterung mitzunehmen. Und so schrieb ich todo Listen (Wenn der Kopf nicht funktionierte, musste ich diese nur abarbeiten), kaufte mir eine Saftpresse, (da ich fand das frischer Obstsaft das einzige war, wovon mir nicht übel wurde), ich brachte die Wohnung in Ordnung, (damit ich nicht aufräumen musste) und noch so allerlei. Und ich sagte mir immer wieder: "Das war PECH mit dem Nacken... Das kommt nicht nochmal!!"

 

Im Chemoraum war ich inzwischen schon "alter Hase": Lehnstuhl, Decke, Wasser, ich hatte mir ein Hörbuch zur Ablenkung mitgenommen. Alles lief wie am Schnürchen. Ich bekam noch andere Medikamente gegen Übelkeit.

"Aber sonst haben Sie es ja gut vertragen."  Hier passierte es  mir zum ersten Mal, dass ich diesen Satz hörte, während ich die Zähne so fest zusammengebissen hatte, dass es weh tat. - Ich musste mich an dieses Paradoxon gewöhnen, denn ich höre es bis heute überall...

 

Also los. Diesmal wurde mir schon vom Anblick des Infusionsbeutels flau. Mein KÖRPER war nicht so dämlich wie mein Kopf, DER wusste, was er vertrug und was nicht...

 

Im Ganzen steigerten sich die Nebenwirkungen. Zu Hause stand auf meiner Liste "essen, trinken, Natronbad, ins Bett." Ich arbeitete brav die Liste ab  - und esse seit dem keinen Vollkornreis mehr. Er "schmeckt nach Chemo". Auch die Übelkeit war noch schlimmer, als beim letzten Mal. Wieder die Schlaftablette (die Packungsbeilage von den Dingern liest sich wie eine Gruselgeschichte: "Auch bei weisungsgemäßer Einnahme" sei man "binnen weniger Wochen süchtig"... von den organischen Belastungen ganz zu schweigen.) Mir war alles egal. Tablette rein. *Zack* Schlaf.

 

Die Atempause am nächsten Tag fiel deutlich weniger "pausenhaft" aus als drei Wochen zuvor. Mir war und blieb fürchterlich übel. Da ich kapiert hatte, dass es beim letzten Mal eben doch nicht der Nacken gewesen war, war die Angst um ein vielfaches schlimmer. (Noch VIERZEHN??? Davon zwölf im Wochentakt???) Ich war sicher, das GEHE gar nicht. Ich hatte das Gefühl noch EINE Chemo dieser Art schaffen zu können, dann wäre meine Selbstbeherrschung (auf die ich mir immer viel eingebildet hatte!!!) endgültig erschöpft.

 

Was sollte nur werden?

 

Mir war klar, dass man mit meinen Heilungschancen nicht einfach die Therapie abbricht. Alle gingen davon aus, dass ich gesund würde, so etwas wirft man nicht weg... aber WAS DANN???? Ich fragte mich, ob ich meinen Mann bitten sollte mich notfalls einfach ins Krankenhaus zu fahren, mich mit Gewalt unten zu halten, während sie mir dort unter Betteln und Flehen gegen meinen Willen die Nadel in den Körper jagen? - Was sollte aus meiner Ehe werden, wenn er mir DAS antäte? - Aber was würde aus uns werden, wenn er es NICHT täte???

 

Ich habe einmal meine Ärztin gefragt, ob man mich nicht für ein halbes Jahr in ein künstliches Koma versetzen könne? - wecken, wenn es vorbei sei? - Sie lächelte nur und sagte "So was machen wir nicht." ich werde es nie vergessen. Sie MACHTEN es nicht. Keine Erklärung. Kein Rat. "Nö".  Punkt.  aber was ICH machen sollte, wenn mir die Nerven versagten, konnte sie mir auch nicht sagen. Und ich war ABSOLUT ratlos.

 

Die Übelkeit erreichte in den nächsten Tagen ihren Höhepunkt. Ich brach vom Anblick der Wasserflasche, vom Anblick der Tablettenschachtel, vom Anblick meines weißen aufgedunsenen Gesichts im Badezimmerspiegel. Ich hatte so eine Migräne, dass das Klingeln des Telefons oder der Kirchenglocken (HIMMEL, die KIRCHENGLOCKEN!!!!!) mir das Gefühl vermittelte mein Gehirn löse sich vom Schädel und schwinge wie ein Wackelpudding lose im Kopf. Von den Schmerzen und der Tatsache, dass man davon ganz ramdösig wird abgesehen, fühlt es sich WIRKLICH an, als sei es eine TOTSICHERE Methode schwere unabwendbare Gehirnschäden zu produzieren. Und die Kirchenglocken schlugen jede Viertelstunde...

 

Irgendwann in dieser Phase hatte ich einen Einfall, der mir im Nachhinein wie eine göttliche Eingebung vorkommt. Ich meldete mich im Internet in einem Krebsforum an und suchte Gesellschaft. Ich hätte das Gefühl nicht durchzuhalten, schrieb ich. Obwohl ich WISSE, dass ich nicht aufgeben dürfe. Ob jemand dasselbe Problem habe?

 

Es meldete sich eine junge Frau, etwa mein Alter. Sie kenne das, habe das selbe durch schrieb sie. Der Austausch mit ihr wurde mein Ticket durch die Chemotherapie. Wenn ich heute meine Mails und Internetposts aus der Zeit lese, bin ich fassungslos wie positiv und gefasst ich klinge, während ich heulend Buchstaben für Buchstaben tippte, während mir alles vor den Augen verschwamm und die Migräne davon natürlich noch schlimmer wurde... Ich brauchte Tage für einzelne Mails, aber das machte ja nichts. ich hatte ja nichts weiter vor als mit fünf Minuten pro Wort lange Emails zu schreiben. Sie schickte Fotos von sich und ich SAH den Beweis: Es GEHT. Sie IST noch da. Wer mir Fotos und Durchhalteparolen schicken kann, IST nicht tot. Und wer Berichte vom jetzigen Leben schicken kann, der HAT ein "richtiges" Leben nach der Chemotherapie. So etwas gibt es WIRKLICH.

 Quod erat demonstrandum.

Und so schrieb ich. Noch einen Buchstaben und noch einen. Lieber die Migräne als mit der Angst alleine zu bleiben. Ich tippte den ganzen Tag. Konnte jetzt gerade nicht sterben. Musste erst noch diese EMail beenden. Und sie antwortete prompt und ich begann die nächste Mail... "Es geht mir schon viel besser" schrieb ich. Und dass ich das "schaffen werde"...

 

Sicherlich wollte  ich niemanden schockieren. Sicherlich nahm ich an, dass jeder sein Päckchen zu tragen hatte und auch nur nicht jammerte.

Aber es war auch ganz banal so, dass ich es nicht aussprechen konnte. Hätte ich "Ich kann das nicht!" gesagt - Es wäre wahr geworden. Also sagte ich es nicht. Ich sagte "Ich schaff das!!!" auch wenn es gelogen war. Und weiter ging es...

 

Die Zeit schlich. Ich wusste nicht was tun. Im Hinterkopf immer diese "Was, wenn ich schlappmache?" Frage, die ich niemandem stellen konnte. Denn - WAS sollte man mir schon antworten. DASS ich durchhalten MUSSTE wusste ich schließlich selbst...

 

In diese Zeit fiel der erste Kontrollultraschall. Ich habe hier nach Susanns erstem Kontrollultraschall schon einmal davon erzählt. Es war gut, dass die Kontrolle (mit Rücksicht auf meine Verfassung) mit einigem Abstand zur Chemo stattfand. In den Tagen nach der Chemo träumte ich davon, dass sie nicht helfen werde, dass es vorbei sei und ich dieses Zeug niemals wieder nehmen müsse... Beim Ultraschall ging dann sogar schon wieder freuen: Der Tumor war geschrumpft. " Wir sind auf dem richtigen Weg" sagte die Ärztin. "Wir machen so weiter."

 

Selbst die Ärzte waren von meinen Nebenwirkungsberichten erstaunt, SO etwas waren sie nicht gewöhnt. Es sei "Nicht hinnehmbar" sagte die Ärztin, die mir zuvor großartig  erklärt hatte künstliches Koma gebe es nicht. Ihr Vorschlag war die stationäre Aufnahme für die nächste Chemotherapie. Und da ich von Wasser brechen musste und mir der Gedanke dieses intravenös zu erhalten gefiel, stimmte ich zu. Was hatte ich zu verlieren - außer meinem Leben und dem kümmerlichen Rest meiner ursprünglich mal eiserner Nerven, auf die ich mir mal viel eingebildet hatte?

 

If you arge going through hell - Keep going!!!

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Tilo (Donnerstag, 02 Februar 2017 09:34)

    Deine Beiträge lesen sich kurzweilig und vermitteln einem Außenstehenden bzw. nicht Betroffenen einen - aus meiner Sicht - "unterhaltsamen" Einblick in Dinge, von denen man eigentlich gar nichts wissen will. Die Art wie du schreibst finde ich erfrischend. Gerade wie du immer wieder kritisch alles hinterfragst!!! Du dich nicht von Anderen treiben lässt. Du letztlich immer selbst entscheidest. Gedanken zu möglichen Lösungen abwägst, ... Du bewahrst Witz, Selbstironie und zeigst gleichzeitig wie gnadenlos du dem Krebs und der oftmals hilflosen und unwissenden Medizin ausgeliefert bist.
    Ich hoffe natürlich so etwas selbst nie erleben zu müssen. Aber deine sehr realistisch erscheinende, nicht - wie heutzutage leider üblich - alles beschönigende Schreibweise, oder aus Effekthascherei hineingedrängter Superlative, dein tatsächlich Erlebtes zu schildern, gibt mir einen interessanten Einblick in der Realität. Sowohl bildend, also auch anregend für eigene Gedanken und Entscheidungen in möglich kommenden Situationen.

    Dir weiterhin alles Gute
    Dein Mann ist sicher sehr stolz auf dich und weiß dein Wesen nun noch mehr zu schätzen und zu lieben, als je zuvor.

  • #2

    Sabine aus BaWü (Freitag, 03 Februar 2017 15:27)

    "Aber sonst geht's Ihnen ja gut." Diese Ignoranz, Arroganz und das völlige Fehlen von Empathie macht einen sprachlos. Und hilflos. Und wütend, resignierend. Ich bedaure Deine ganz persönliche Hölle, durch die Du gehen musstest.
    Wünsch Dir alles, alles Gute für die Zukunft.

  • #3

    Susanne (Samstag, 04 Februar 2017 15:39)

    Vielen herzlichen Dank für Eure lieben Kommentare. Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich über so etwas freue!!!!! Denn es ist wie Du sagst Tilo: "eigentlich" will man das gar nicht wissen und deshalb ist es IMMER die Frage, ob man sowas erzählen "darf".
    Ob man nicht besser "Och, schafft man schon" schreibt (Was schließlich AUCH wahr ist - ich bin DURCH. Es GEHT!!!) und das "wie" verschweigt um niemandem Angst zu machen...

    Ich persönlich finde, dass gerade beim Thema Krebs eine unfassbare Schönrederei stattfindet. Und dass DIE auch nicht das gelbe vom Ei ist... "Ach, dann kannst Du ja jetzt ein bisschen Chemo machen und ansonsten den Sommer genießen" sagte eine Freundin in DIESER Chemo Phase zu mir... Ich weiß das es nicht böse gemeint war. Aber ich habe nach dem Satz trotzdem den ganzen Abend geheult. Ich hatte mir vorgestellt meine Freunde wären stolz auf mich... Als ob es nicht alles schon beschissen genug gewesen wäre...
    Aber wie sollen die Menschen wissen, wie es sich anfühlt, wenn es niemand laut sagt?

    Ich danke jedem einzelnen Leser jedes einzelnen meiner Texte. Ich habe beschlossen einmal zu "sagen" wie es gewesen ist. Und bin unendlich dankbar, wenn das jemand hören will...

    Denn die Wahrheit ist:
    Diese radikalen Therapien retten Leben. Ich bereue es nicht, würde die Chemo wieder machen!!! Aber sie sind ECHT nicht ohne!!!!!

  • #4