#M Von roten Herzen und echter Solidarität...

Alle paar Monate ist ein Gedenktag, Krebstag, Brustkrebstag, oder irgendein Prominenter stirbt, erkrankt oder denkt an Krebs und eine Welle der mehr oder weniger gelungenen Symbolik und Solidaritätsbekundungen schwappt durch das Internet.

 

 

 

"Nimm am Welt-Krebstag ein rotes Herz als Profilbild, zum Zeichen der Solidarität." las ich. blablabla...

 

 

 

Rotes Herz?

 

 

 

Zeichen?

 

 

 

Und soll ich jetzt Solidarität mit mir selbst bekunden, oder wie?

 

 

 

Kurz: Was halte ICH eigentlich von solchen Aktionen? Sind sie hilfreich? Nicht hilfreich? Solidarisch? Doof?

 

 

 

Ich weiß keine Antwort auf diese Frage, aber ich will Euch eine Geschichte von Solidarität erzählen...

 

 

 

Meine Chemo bestand aus zwei Teilen mit unterschiedlichen Medikamenten. Der erste Teil war der Tripp durch die Hölle von dem ich Euch schon berichtet habe.

 

 

 

Danach wurde es besser. ALLES wurde besser. Ich musste mich nicht mehr übergeben. Ich war mir sicher durchzuhalten. Das Gehirn funktionierte wieder wie bei einer schweren Grippe. - angeschlagen und wahnsinnig unkonzentriert - ABER es funktionierte!!! JETZT hatte ich die Form von Nebenwirkungen, die angekündigt worden waren:  Müde und konnte nicht schlafen; Ich aß wie ein Scheunendrescher und der Magen reagierte trotz Höchstdosis Säureblocker mit starken Schmerzen und Sodbrennen; Ich war unkonzentriert und schmerzempfindlich, müde und hibbelig; Hände und Füße kribbelten und schmerzten; mir war schwindelig und ich war zu nichts zu gebrauchen. Für das Tragen von Perücke und Kopftuch war es zu heiß, also schockte ich die Welt dadurch, dass ich "oben ohne" herumlief...  Kurz: Ich hatte eine Unmenge lästiger kleiner Wewehchen. Das Bild auf der Titelseite stammt aus dieser Zeit.

 

 

 

- Im Vergleich zum ersten Teil der Chemotherapie war es der Himmel auf Erden. - Aber eben auch NUR in diesem Vergleich!!!!!!!!

 

 

 

In dieser Phase erhielt ich eine Einladung zu einer Cocktail-Runde mit meinen ehemaligen Kolleginnen. Ob das möglich war? Ich hatte Schwindelanfälle - was wenn ich stürzte? - Mein Magen war in GAR keiner Verfassung für auswärts-essen (und ich aß ununterbrochen!!!), von diesem Zucker-Zeug, aus dem alkoholfreie Cocktails bestehen völlig zu schweigen. - Ich war so hibbelig, dass ich kaum stillsitzen konnte, mein Gesicht war aufgedunsen vom Kortison und wegen der Hitze vertrug ich weder Perücke noch Kopftuch...

 

 

 

DAS an einem Abend mit ehemaligen Kolleginnen, die ich z.T. Jahre nicht mehr gesehen hatte? In einer lauten und überfüllten Cocktailbar? - Was wenn sie furchtbar schockiert wären? Was wenn die Migräne wieder käme? Was wenn...

 

 

 

Ich fuhr hin. Fuhr ohne Perücke - Wenn ICH so AUSsehen kann, werden andere es wohl ertragen es sich ANzusehen... Ich fuhr hin, weil ich mich nach drei Monaten Wohnung, Krankenhaus, Supermarkt und Zoo zu fragen begann, ob die Welt da draußen eigentlich noch existierte? Ob sie noch weiterdrehte und ob sie mich - während ich ALLES tat um zurück kehren zu dürfen - schon vergessen hatte...?

 

 

 

Keine körperlichen Beschwerden wiegen so schwer wie die Angst - also fuhr ich...

 

 

 

Ob so ein Abend funktionieren kann?

 

 

 

Ja. Er kann. Unglaublich aber war: Ich habe diese Aktion sehr genossen!!! Ich habe KEINE Ahnung, ob noch jemand außer mir die Cocktailrunde erholsam fand, aber ICH hatte ein paar Stunden lang das Gefühl nur noch halb so krank zu sein. Es war alles schlimm. Sehr schlimm sogar, aber ich war NICHT zu krank für solche Treffen. Sah NICHT zu zombie-mäßig aus, um sich mit mir in der Öffentlichkeit zu zeigen und die Geschichten, die ich erzählte, waren NICHT so grauenhaft, dass sie keiner hören wollte.

 

Es war einen Abend lang wie Urlaub vom Krebs:

 

 

 

Ja. Die Welt war noch da.

 

Ja. Sie drehte noch weiter.

 

Und Ja. Sie wartete auf mich. Fest versprochen...

 

 

 

Ich wünschte, wir hätten damals ein Gruppenfoto gemacht: Die Mädels könnten DAS als Beweis ihrer Solidarität hochladen, wenn mal wieder einer gefordert wird...

 

 

 

In jener Nacht schlief ich praktisch nicht, mein Magen hat mir die Geschichte wirklich übel genommen. Aber das war es wert. Denn bzgl. 7,44 Mrd Menschen auf dieser Welt bin ich unsicher, ob Zeichen der Solidarität wie rote Herzchen hilfreich sind. Aber bei MIR und MEINEM Umfeld weiß ich die Antwort:
Wer sich SO mit mir in einem überfüllten Saosalitos zeigt. Wer für alle meine Launen, Stimmungsschwankungen, Schwächeanfälle, Fressattacken, Heulkrämpfe und-was-weiß-ich Verständnis zeigt. Wer mich Glatze hin oder her, anspruchsvoll, wehleidig und noch schräger als sowieso immer noch leiden kann - der hat für mich ALLES bewiesen, was es jemals zum Thema Solidarität mit Krebskranken zu beweisen gab.

 

 

 

Mein Fazit: Für MICH braucht Ihr nie wieder rosa Schleifchen, rote Herzchen oder grüne-was-weiß-ich-was tragen. Ginge es ausschließlich um meine Befindlichkeit dabei, wir können die Gedenktage abschaffen, Mühe und Geld sparen.

 

 

 

Es ist bereits alles bewiesen und es ist alles gesagt.

 

 

 

Ich werde es nie vergessen.

 

Kommentare: 1

 

  • #1

 

Mohnblume (Freitag, 10 Februar 2017 09:42)

 

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Oh ja, das empfinde ich genau so. Dieses WhatsApp Ding hat mich auch geärgert. Aber das hat es auch schon, wenn alle ihre WhatsApp Bilder in Kerzen im Gedanken an Terror etc. wandeln. Das ist für mich kein Zeichen und kein Handeln.

Mir ist bewußt, dass es Symbole braucht - vor allem auch in unserer digitalen Welt. Eins ist die rosa Schleife für Brustkrebs. Aber da hat sich bei mir immer alles gesträubt: sowohl nach dem Tod meiner Mutter als auch bei meiner eigenen Erkrankung. Könnte es nicht ertragen, die als Schlüsselanhänger/Armband etc. zu haben. Manchen Frauen gibt so ein Symbol aber auch so viel, dass sie es sogar tätowieren lassen - das gilt es dann auch zu respektieren. Mir persönlich hat der Krebs genügend "auf den Körper tätowiert" an Narben, da brauche ich keine weitere Erinnerung.

Aber als Erkennungszeichen der Solidarität auf Plakaten, bei Konferenzen und Veranstaltungen, da braucht es sowas und daran erkennen wir einen "Kampf für uns": von Ärzten, Verwandten, der Politik.
Eine tolle Aktion finde ich http://www.pink-shoe-day.de/ oder den Lauf für das Leben. Solche Initiativen bringen Aufmerksamkeit, Spendengelder, Forschungsgelder - damit wir hoffentlich irgendwann niemanden mehr diesen Kampf verlieren sehen.