#R Tage wie dieser...

Ich habe vorhin einen Termin vereinbart. "Übernächste Woche Donnerstag?" sagte die Dame. "Das ist der 16. März..."

 

 

 

16. März????????????????????????????????????????????????

 

 

 

 

 

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Wir schreiben den sechzehnten März Zweitausendsechzehn. Es ist ein Tag wie jeder andere. Gut, ich habe kurz einen Arzttermin... Aber der wird nicht lange dauern. Ich muss nur kurz das Ergebnis meiner Stanzbiopsie abholen. Eine reine Formalität... denn KREBS? - Den bekommen doch immer nur die anderen...

 

 

 

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"Haben Sie den Knoten selbst getastet?" man wird es überall gefragt. Keine Ahnung, warum das wichtig ist, jedenfalls erzähle ich die Hälfte der Zeit irgendwas von Dusche und selbst getastet. Denn die wahre Geschichte ist privat und geht keinen was an...

 

 

 

Die Wahrheit ist, dass mir die Veränderung zwar aufgefallen war, ich sie jedoch nicht als "Knoten" sondern als "irgendwie ist die Brust da fester" eingestuft hatte... Ich versuchte schon längere Zeit schwanger zu werden, nahm Mönchspfeffer für den regelmäßigen Zyklus und in der Packungsbeilage stand, die Brüste könnten davon fester und schwerer werden. Nun, die linke Brust war etwas fester, insbesondere an der einen Stelle...

 

und so ignorierte ich das Ganze. Ich war mit Zyklus berechnen und Tage zählen beschäftigt... Diesen Monat würde es klappen...

 

Bis mein Mann die Stelle bemerkte. Wer interessiert sich schließlich mehr für die Festigkeit meines Busens als ich? - Eben.  "Das ist da so fest!" sagte er mit aufgerissenen Augen. Ob er es zu diesem Zeitpunkt schon gewusst hat? Ich habe ihn nie gefragt...

 

Jedenfalls war der Samstag gelaufen und so versprach ich brav zum Arzt zu gehen.  Vorsichtshalber. Damit er sich keine Sorgen machen muss...

 

Frauenarzt am Montag morgen. Die Kombination aus privater Krankenkasse und Krebsfamilie machte hinreichend Eindruck, der Brustexperte der Praxis machte sofort und persönlich einen Ultraschall. Es sehe zwar "etwas seltsam" aus, - aber nicht wie Krebs...

 

Er wollte tasten, was ich getastet hatte. Jetzt muss ich dazu sagen, dass meine linke Brust schon immer fester war als die rechte. Was er als "Stimmt, das fühlt sich komisch an" tastete war ABSOLUT normal, er tastete die Stelle nicht, die ich meinte - oder besser gesagt, die mein Mann meinte... und ich hätte ihn darauf hinweisen können, aber mein Mann machte sich Sorgen, er wollte das geklärt haben - und so nickte ich brav: "jaaaa genau!" und mein Frauenarzt schickte mich zur Mammographie. "Vorsichtshalber".

 

Ich durfte gleich durchgehen.

 

Auch hier: Die Kombination aus Krebsverdacht und Privatpatientin machte vieles möglich und so saß ich zwei Stunden später wieder bei meinem Frauenarzt mit den fertigen Bildern der Mammographie. Das Ergebnis der Mammographie ist der Grund warum die Vorsorge mit Mammographie erst ab 50 gemacht wird: Man sah absolut NICHTS.

 

 

 

Jetzt war also der Moment gekommen. Hopp - oder Topp? Der Gynäkologe fühlte (an der falschen Stelle) und ich schwieg. "Wir machen eine Biopsie" sagte der Arzt schließlich. "Um ganz sicher zu gehen."

 

Überweisung zur Stanzbiopsie in's Krankenhaus.

 

Vorsichtshalber.

 

Im Krankenhaus wurde ich mit der Frage begrüßt, was ich denn dort wolle, wenn die Mammographie doch nichts anzeige? Mein Frauenarzt hatte mich entsprechend instruiert und so verwies ich auf den Tastbefund. Der solle vorsichtshalber geklärt werden. Krebsfamilie und so... Wieder Ultraschall. "Die Lymphknoten sehen schonmal frei aus" sagte die Ärztin.
Eine selten dämliche Bemerkung wie ich fand. - Schließlich hatte ich keinen Krebs, was hätte denn da mit meinen Lymphknoten sein sollen? Sie fand auch, dass es absolut nicht nach Krebs aussehe. (Die Schwester im Raum guckte, als dächte sie "Was will die hier, wenn se doch nix hat")

 

Betäubung. Stanze.

 

Google hatte mir versprochen eine Stanzbiopsie sei nicht schmerzhaft. Ich kann diese Aussage etwa so sehr unterschreiben wie die, eine Chemotherapie habe heutzutage keine Nebenwirkungen oder in Neapel bekäme man im Juli jedes Jahr 20cm Neuschnee...

 

Irgendwie scheint die örtliche Betäubung nicht richtig gewirkt zu haben. Denn es tat RICHTIG weh. RICHTIG RICHTIG RICHTIG. Ich klammerte mich mit zusammen gebissenen Zähnen an die Liege und verfluchte mich im Stillen dafür, dass ich nicht einfach "Nein, Herr Dr. Sie tasten an der falschen Stelle" geantwortet hatte und mich als Hypochonder nach Hause schicken lassen. ICH mit meiner ewigen 150%igkeit... Die Hand der Schwester zu drücken lehnte ich ab. - Hatte Angst, ich bräche ihr die Knochen...

 

 

 

Irgendwann war es geschafft, Proben entnommen, sie gingen ins Labor.

 

 

 

Besprechungstermin für den 16. März. Es war ein Mittwoch vor Ostern. Mein Mann war auf Geschäftsreise. - "Ja, na SICHER fährst Du, warum denn nicht???" (O-Ton ich etwa 12. März 2016) Und ich nahm das Fahrrad und meinen Rucksack und radelte zum Krankenhaus. Im Gepäck hatte ich Bücher und Laptop. Ich wollte gleich weiterfahren in die Bibliothek und mich dann an die Arbeit machen. Nur kurz das Ergebnis abholen...

 

 

 

Ich sollte den Krankenhausflur auf dem ich wartete später noch gut kennen lernen. Aber das ahnte ich nicht. Ich war auch nicht wirklich nervös, nur leicht genervt. Hatte einen Besuch in Dresden absagen müssen wegen dieses blöden Termins - dabei war ja nichts... Aber was tat frau nicht alles, damit ihr Mann sich keine Sorgen machte...

 

 

 

In dieser Stimmung betrat ich das Arztzimmer.

 

 

 

Die Ärztin, die den Ultraschall gemacht hatte setzte sich und sah mich an. Ihr Gesicht verriet absolut nichts.

 

 

 

Und sie sagte fünf Worte, die mein Leben für immer verändern sollten.

 

 

 

Sie sagte: "Ich habe keine guten Nachrichten."

 

 

 

Und um mich herum blieb die Welt stehen. Eben hatte sie noch gedreht - jetzt war alles statisch.

 

 

 

"Ich habe keine guten Nachrichten."

 

 

 

E I N Jahr soll dieser Satz her sein?

 

Nun, einerseits enthielten die Monate März bis September die längsten Minuten meines Lebens, jede einzelne Sekunde war mühsam totgeschlagen.

 

Andererseits bin ich fassungslos, wenn ich jetzt wieder dieses Datum lese...

 

 

 

16. März...

 

 

 

Denn ich sehe noch immer ihre Augen. Weiß noch, was ich gedacht und getan habe in diesen Sekunden. Ich habe ihre Stimme im Ohr und weiß, wie die Stühle im Zimmer standen. Ich erinnere mich an das Wetter und welche Schwester Dienst an der Rezeption hatte. Weiß, was ich für Kleidung anhatte und was ich an dem Tag gegessen habe. Ich erinnere mich an jede noch so dämliche Kleinigkeit und glaube, ich werde solange ich lebe diesen Satz im Ohr haben...

 

 

 

"Ich habe keine guten Nachrichten."

 

 

 

Der 16. März ist der Tag des Weltuntergangs. Der bringt Unglück. Da muss irgendwas weltbewegendes sein, da kann ich doch keinen FRISEURTERMIN machen????

 

 

 

Aber - WAS tut man sonst an so einem Tag? Heulen? Brechen? Feiern?

 

 

 

Und schließlich... Vielleicht  ist es an der Zeit die Dinge anders zu betrachten. Es ist wieder der 16. März... Der Krebs ist weg. Und ich bin noch da. Ich habe einen Friseurtermin, weil die Haare zurück sind. Vielleicht wird es Zeit dort anzuknüpfen, wo ich die Welt angehalten habe... Vor einem Jahr... am 16. März ...