#BB Wir sind das Ruhrgebiet...

Ich bin in den letzten Jahren häufig umgezogen, habe unter anderem in Dresden gelebt. Und Dresden ist umwerfend schön. Es ist - ich hoffe das darf ich so sagen - für mich eine der schönsten, wenn nicht DIE schönste Stadt Deutschlands.

 

Ich liebe Dresden. Liebe es, das Panorama der Stadt von der Augustusbrücke aus zu bewundern. Liebe den Flohmarkt, der Samstags am Elbufer stattfindet. Ich liebe den Biergarten am Lingener Schloss, liebe es den Farbwechsel der Blätter im Herbst vom Elberadweg aus zu sehen. Ich liebe die Elbwiesen, die drei Elbschlösschen, liebe das blaue Wunder, liebe die Radwege und die Frauenkirche, liebe Semperoper und Zwinger... Ich liebe Dresden. 

 

Nicht überraschend, oder? Ich meine DRESDEN (!!!) mag "man". Dresden gilt allgemein als sehenswert und ja, ich bin auch dieser Meinung!

 

Und wenn man mich fragt, woher ich denn ursprünglich komme und ich "Ruhrgebiet" sage...  

Dann ich habe den Eindruck, jeder Nicht-Ruhrpottler denkt "Oh Gott, wie scheußlich!!!" 

Aber soll ich Euch etwas verraten? Ich liebe das Ruhrgebiet! Halte es für einen der faszinierendsten Orte, den ich kenne. Es kommt mir so echt vor. Ich meine: Es fließen unglaubliche Geldbeträge nach Dresden für den Erhalt der Schönheit. Nach Gelsenkirchen fließt gar nichts. In Duisburg bröckelt die Bausubstanz der alten Schifferhäuser, in Essen wurde (als ich das letzte Mal dort war) das Becken des Schwimmbades mit Klebeband geflickt. Die Straßen im "tiefen Westen, wo die Sonne verstaubt" (Grönemeyer) bestehen zu gefühlten 50% aus Schlaglöchern. Wenn man in Bochum, Gelsenkirchen oder Duisburg einmal durch den Bahnhof geht, wird man von mindestens drei Schnorrern angesprochen und bis vor ein paar Jahren wurden im Essener Hauptbahnhof in großem Stil Drogen verkauft. 

Es fehlt überall. 

Aber trotzdem ist dies kein leeres Gerede einer Einheimischen, die nichts anderes kennt:

 - Ich liebe das Ruhrgebiet!!! 

 

Es ist eine Region, die harte Zeiten durchgemacht hat. Man hat die Schönheit der Gegend der Industrialisierung untergeordnet. Hat Bergwerke und Hochöfen und Bahnstrecken gebaut. Und es wird wohl niemand bestreiten wollen, dass es funktioniert hat. Dass es außer Feuer und Dreck auch Arbeit und Aufschwung gab. Kohle und Stahl... 

Aber als die Blütezeit der Schwerindustrie vorbei war, als die Zechen schlossen. Da stand man da: Ohne umwerfende Schönheit, die Touristen anzog. UND ohne die Jobs, die Kohle und Stahl gebracht hatten. Mit einem RIESEN Berg Probleme. 

Traurig. Schwierig.

Aber jetzt kommt das Erstaunliche: Was man daraus gemacht hat!!! Denn wer einmal zu den alten Industrieanlagen fährt, der wird staunen. Renaturierung heißt das Zauberwort!!!! Die Natur ist fleißig dabei die Abraumhalden und Hochöfen zurück zu erobern, wo immer man sie lässt. Und man lässt sie...

Und so leben im Duisburger Landschaftspark Grünspecht, Mauersegler, großes Mausohr und Feldhase.  

Auf der Schurenbachhalde in Essen tummeln sich die Kröten und in der Ruhr werden die Fischbestände mehr. 

Und es gibt große Pläne: Die Emscher (einst einer der schmutzigsten Flüsse Deutschlands) wird derzeit renaturiert... Ich sage Euch etwas: Es wird wunderschön!!!! 

 

Und wenn ich über Schönheit und das Leben nachdenke, dann ist es DAS was MICH am meisten beeindruckt: 

 

Nicht die umjubelte Schönheit Dresdens, die ich wie gesagt sehr liebe und bewundere. 

 

Mich beeindruckt am meisten so etwas: In harten Zeiten mit Nichts als einer miserablen Ausgangslage etwas zu bewirken. Etwas Schönes. Und es wird vielleicht nicht perfekt. Und es wird vielleicht nicht DAS wovon jeder träumt und wohin Menschen aus aller Welt strömen, weil irgendwer kluges gesagt hat, DAS sei einzigartig...

Aber wer in der Sechs-Seenplatte geschwommen ist, auf der Schurenbachhalde spazieren war, im Landschaftspark beim Sommer-Open-Air-Kino von Fledermäusen umflogen wurde und und und und und... 

Der wird nie wieder sagen, das Ruhrgebiet sei hässlich. Es ist nicht hässlich. Es ist "anders". Was besonderes. 

 

Dort ist es gelungen: Man hat aus Schutt Leben gemacht! 

 

Der Krebs hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie wichtig es nicht, nicht darauf zu bauen, dass alles gut geht. Irgendwas geht immer schief. Und man steht da mit Nichts.  Ich glaube so ist das Leben. 

Aber manchmal, wenn ich sehe wie groß in unserer Zeit die Perfektion geschrieben wird, möchte ich eine Ruhrgebiets-Tour anbieten. Für alle, die glauben, wenn einmal etwas zu kaputt zum flicken sei, könne das Leben nie wieder "gut" werden. Man brauche es erst gar nicht versuchen. Ich möchte mit diesen Leuten auf den Turm der Henrichshütte steigen und ich möchte ihnen die Baby-Nutrias im Baldeneysee zeigen. Die Naturschutzgebiete und Krötenwanderwege. Und wenn wir in einem kleinen Boot auf dem Wolfssee treiben und die Kormorane beobachten möchte ich: "Sagst Du DAZU 'lohnt nicht'?" fragen... 

 

Wolfgang Petri ist sonst ehr nicht meine Musik, trotzdem zitiere ich ihn mit Stolz: "Wir sind das Ruhrgebiet!"