#II In Gesundheit und Krankheit...

Meine Chemotherapie war ein Weg durch die Hölle. Ich habe geheult und gekotzt, schlug mich mit Schlaflosigkeit und Hitzewallungen herum, lag dauernd im Krankenhaus, hatte Schmerzen, Panikattacken und gefühlt jede Nebenwirkung, die es gibt.

 

Aber ich fand mich stark.

Tapfer

und mutig

 

Großartig, wie ich das durchzog!!!

 

Und so habe ich es wieder und wieder gesagt: "Ich würde es wieder tun".

 

Ich war sicher: "Ich muss nur durchhalten. 24 Wochen Chemotherapie. Und dann ist der Krebs weg. Und ich bin noch da."...

 

War mir sicher. -  Bis heute.

Es ist eine Randnotiz in den unzähligen Seiten der Chemo-Aufklärung. "Psychische Auswirkungen".  "Depressionen" stehen im Kleingedruckten der Neben - und Nachwirkungen.

 

Nun bin ich eigentlich sehr sehr sehr SEHR vorsichtig mit allem, was als Nebenwirkungen "Depressionen" listet, weil ich das "Vergnügen" schon in meiner Jugend durchhatte und in Zukunft gerne darauf verzichten würde.  Trotzdem. Es las sich echt harmlos und wurde bei Nachfrage auch so erklärt. "Der Schock" "die veränderten Lebensumstände"... Da reagiere so mancher mit psychischen Folgen... Aber das sei ja behandelbar... Solle ich mich nicht von beirren lassen... Und ich war doch "eigentlich" gewappnet, wusste, was gegen Depressionen zu tun war, hatte MEINE Dämonen im Unterbewusstsein doch längst bekämpft...

 

Und  natürlich will man glauben, dass die Chemo helfen wird, dass danach alles gut wird, ... ich würde das packen, würde gesund und glücklich werden, was denn sonst.

 

Meine Chemotherapie ist bald ein Jahr her, abgesehen von den Nebenwirkungen der Antihormone und Konzentrationsschwäche merke ich nur noch wenig körperliche Nachwirkungen.

Alle gratulieren und sagen, es sei blendend gelaufen.

 

Und ich weiß, wie sich eine Depression anfühlt, ich hatte schon eine - und SO ist es diesmal nicht. Ich fürchte mich auch nicht Tag und Nacht vor dem Tod, das ist es auch nicht. Ich hatte nicht erwartet, dass mein Leben ein andauernder Ponyhof wäre und bin daher auch nicht schockiert... Das ist alles nicht das Problem.

 

Es ist nur.

 

Nur...

 

Alles ist ein wenig schwerer als früher. Macht mir dafür alles etwas weniger Spaß. Ich kann mich etwas schlechter aufraffen. Und wenn ich es tue bin ich darüber etwas weniger froh.

 

Und irgendwie war es früher schon nicht soooo einfach... füher nicht sooooo toll... ich früher nicht sooooooo motiviert ... und ich war schon immer ziemlich anspruchsvoll...

 

Und während es früher eben doch meist "so eben" mit ein bisschen schummeln und schieben im Ganzen ausreichte um mich das Leben mögen zu lassen, reicht es jetzt irgendwie "so eben" nicht mehr... Es ist gar nicht so viel schlechter, ehrlich nicht und ich will auch gar nicht jammern, habe echtes Glück gehabt... Aber es fühlt sich an wie eine magische Messlatte - früher war ich knapp drüber und heute bin ich bin knapp drunter.

Und so gefällt es mir nicht. Nichts. Zu nichts Lust, alles nicht wert, alles was ich anfange macht mehr Arbeit als Freude, ich mag einfach nicht.

 

Was tut man da?

 

Ich hatte zig Psychologen Versuche.

Ich will kein Antidepressivum (Been there done that, didn't like it).

Ich kenne alle "Tu Dir was Gutes" oder "Denk positiv" Ratschläge.

Ich weiß, dass mein Mann mich liebt.

Ich weiß, alle wollen mir helfen.

Ich weiß, vielen geht es viel schlimmer als mir.

 

Und ich bin ratlos.

 

Bin total ratlos, weil alles was ich anfange es schlimmer statt besser zu machen scheint.

Bin schrecklich frustriert, weil die Zeit des Durchhaltens doch eigentlich vorbei sein sollte.

Bin absolut verzweifelt, weil DAS jetzt das Leben ist. - Was soll werden, wenn mir DAS nicht mehr gefällt?

 

Ich habe die vergangenen Monate mit dem Versuch verbracht nicht in Panik zu verfallen. Mir "Zeit zu geben" "Geduld zu haben" und was man da so alles hört.

 

Ich habe es mit Sport, mit Nicht-Überanstrengen, mit Urlaub und mit Dingen, die mir Freude machen versucht. Vielleicht ist es nur ein Durchhänger und morgen geht es wieder, ich weiß es nicht. Und vielleicht darf man sowas nicht laut sagen um niemanden abzuschrecken... Aber wer bis hierher durchgehalten hat, den wird das jetzt wohl auch nicht mehr schockieren:

 

HEUTE bereue ich die Chemo.

HEUTE wünschte ich, ich wäre nicht stark geblieben, sondern hätte nach der ersten Infusion abgebrochen.

HEUTE finde ich, dass es das NICHT wert war.

 

Ja, ich weiß. Sie rettet Leben, hat vielleicht meins gerettet.

 

Ja, ich weiß. Es war meine freie Entscheidung.

 

Ja, ich weiß. Das ist nicht allgemeingültig, muss jeder selbst entscheiden.

 

Und Ja, ich weiß. Ich sollte dankbar sein.

 

 

Aber wenn mein Leben HEUTE, HIER und JETZT stattfindet, welche andere Stimmung zählt dann als die aktuelle? Und HEUTE, HIER und JETZT glaube ich, das war es NICHT wert, ich hätte lieber ein höheres Risiko jung zu sterben.

 

Ich hab die Chemo gemacht, weil ich mir nicht eines Tages vorwerfen wollte, nicht ALLES getan zu haben. Jetzt glaube ich, dass ich zu viel getan habe. Dass ich das WAS ich hatte zu wenig geschätzt und in der Frage "Was sind mir die nächsten Jahrzehnte wert?" zu hoch gepokert habe.

 

Und so fühlt es sich an, als habe ich alles gewonnen - um dann festzustellen, dass der Einsatz selbst bei Sieg zu hoch war. 

 

Schade.

 

"Du denkst zu viel" sagen die Menschen. Haben sie schon immer gesagt. Dass Grübeln nichts nützt und ich lieber das Leben genießen solle. Ich habe es nie gekonnt und kann es weniger denn je.

 

"So darfst Du nicht mal denken."

 

Tue ich aber trotzdem...

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Kommentare: 4
  • #1

    Debbie (Mittwoch, 09 August 2017 08:45)

    Hierauf einen Kommentar zu schreiben, könnte zur selben Länge wie der gesamte Post führen, also versuche ich es zu komprimieren:
    Du hast SOWAS von recht - so habe ich mich 2 Jahre nach Chemo noch gefühlt. Der Preis ist besch*** hoch und auch ich habe mich immer mal gefragt, ob nicht zu hoch. Denn ich bekam nicht das Leben zurück, was ich dachte, mir erkauft zu haben, sondern eine verdammt anstrengende Sparversion davon, die zumeist unter einem Grauschleier lag. Anstrengend! Fatique! Heulstimmung! Kraftmangel! Kein Raum für Freude. Kein Raum für Ausgelassenheit. Kein Raum für einfaches Leben.

    Mir gefällt Dein groß geschriebenes HEUTE. Denn wir können nicht wissen, wann das MORGEN anfängt und wie es dann bewertet wird. Irgendwann - lange nachdem ich die Hoffnung darauf aufgegeben hatte - gab es bei mir ein MORGEN wo ich dachte "Das ist beinahe wie früher. Anders, aber beinahe wie..."
    Wo wieder mühelose Tage kamen, die Angst die Fresse hielt und meine Welt größer wurde.
    Tage, wo ich in New York an der Freiheitsstatue stand und dachte "DAFÜR habe ich den Preis bezahlt und das war's wert".... die EC, die Taxol, die Bestrahlung, die vier OPs, die Thrombose, die zwei Jahre Erschöpfung. Aber die Dankbarkeit ist bei mir immer noch ein ziemlich kümmerliches Pflänzchen.

    Weiterlesetipp:
    https://brustkrebs-blog.de/2017/07/19/aufraffen-ein-lebenszeichen-geben/
    Hier habe ich mich neulich wiedergefunden und Melli schreibt ganz klar "es nervt", was ich noch reichlich milde ausgedrückt finde.... Aber sie beschreibt so gut, wie steinig der Weg noch ist und sie ist noch ein Jahr weiter als ich.

  • #2

    Micha (Donnerstag, 10 August 2017 16:35)

    HEUTE bereue ich die Chemo.
    HEUTE wünschte ich, ich wäre nicht stark geblieben, sondern hätte nach der ersten Infusion abgebrochen.
    HEUTE finde ich, dass es das NICHT wert war.

    Ja, ich weiß. Sie rettet Leben, hat vielleicht meins gerettet.

    Ja, ich weiß. Es war meine freie Entscheidung.

    Ja, ich weiß. Das ist nicht allgemeingültig, muss jeder selbst entscheiden.

    Und Ja, ich weiß. Ich sollte dankbar sein.


    Aber wenn mein Leben HEUTE, HIER und JETZT stattfindet, welche andere Stimmung zählt dann als die aktuelle? Und HEUTE, HIER und JETZT glaube ich, das war es NICHT wert, ich hätte lieber ein höheres Risiko jung zu sterben.

    Ich hab die Chemo gemacht, weil ich mir nicht eines Tages vorwerfen wollte, nicht ALLES getan zu haben. Jetzt glaube ich, dass ich zu viel getan habe. Dass ich das WAS ich hatte zu wenig geschätzt und in der Frage "Was sind mir die nächsten Jahrzehnte wert?" zu hoch gepokert habe.

    Und so fühlt es sich an, als habe ich alles gewonnen - um dann festzustellen, dass der Einsatz selbst bei Sieg zu hoch war.

    Schade.

    Ich bin dir so so dankbar dafür, genau das was ich denke und fühle in " die perfektesten Worte" verfasst zu haben.
    ( hab ich leider nicht in die Wiege gelegt bekommen :-))

    Dank dir so much ��

  • #3

    Tanja (Dienstag, 15 August 2017 07:09)

    Ich unterschreibe jedes Deiner Worte.
    Ich unterschreibe sie groß und fett und kursiv gleichzeitig.
    Auch ich bin kein so eloquenter Schreiber wie Du und kann meine Stimmungslage nicht besonders gut in eigene Worte fassen.
    Deine treffen es aber wie Faust aufs Auge.
    Genau: so darf man nicht einmal denken.
    Geschweige denn die Gedanken laut äußern!
    Es würde eh niemand verstehen, der es nicht selbst erlebt hat.
    Die Familie und Freunde schon mal gar nicht.

    Ich will einfach nur mein altes Leben zurück.
    Es war nicht super.
    Aber ich hatte zumindest das Gefühl, es war LEBEN.
    Heute ist es existieren.

  • #4

    j. boersen, canada (Montag, 21 August 2017 13:59)

    Alles wahr, auch ich bin deiner Meinung. Schon Seneca der juengere sagte, wie ein rechter Stoiker,
    dass man selber weiss, wenn und wann das Leben nicht mehr reicht. Man fuehlt es und kann immer
    aussteigen. Ich selbst sage, dass das mit den Geliebten und den Naeheststehenden am besten zu
    besprechen ist. Aber nur du kannst letztendlich entscheiden, ob dein Leben noch alles dazu wert ist,
    fuer dich.