#MM Meine Schafe kennen meine Stimme

Ich bin kein gläubiger Mensch (lange Geschichte).  Aber man kommt ja doch gelegentlich an Bibelstellen und Co vorbei...

 

"Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir..." (Johannes 10, Vers 27)

 

Die Geschichte, die ich heute erzählen will, ist Jahre her. Sie hat mich sehr beeindruckt und ich habe sie nie vergessen:

 

 

 

Meine Tante ist Pastorin. Sie ist eine der coolsten Theologen, die mir je begegnet sind und so darf man sich bei ihr kritische Bemerkungen und Reaktionen erlauben, die bei vielen anderen undenkbar wären...

 

Diese Tante also, erlaubte mir einmal einen ihrer Briefe zu lesen. Es handelte sich um den Brief eines Gemeindemitglieds, geschrieben nach einer Predigt zu besagter Bibelstelle vom guten Hirten, der die Schafe kennt und dem die Schafe folgen.

"Ich kenne die Stimme von Jesus gar nicht", schrieb die Verfasserin des Briefes. Und dass sie sich gefragt habe, wie sie am jüngsten Tag Gottes Ruf folgen solle, wenn sie seine Stimme doch eben noch nie gehört habe... und dann sei ihr etwas eingefallen. "Ich hoffe, ich werde dann DEINE Stimme hören" schrieb sie meiner Tante (ihrer Pastorin). Denn DAS sei die Stimme, die sie mit dem Wort Gottes verbinde. DAS sei die Stimme, die ihr die Bibel nahebringe, DAS sei die Stimme, die sie kenne und der sie folgen werde, wenn sie rufe...

 

Wunderschön, oder? Die Vorstellung, dass Gott uns mit der Stimme der Menschen ruft, die wir kennen und denen wir vertrauen?

 

*seufz*

 

Ich bin - wie gesagt - kein gläubiger Mensch.

 

Und so muss ich ohne den Trost der Vorstellung auskommen, dass mich nach meinem Tod die Stimme meiner Lieblingstante ins Paradies führen wird.

Ich habe nicht die Beruhigung, dass ich einfach folgen kann, wenn jemand ruft, ich muss selber wählen und entscheiden, was "gut" ist und was "schlecht", was "richtig" ist und was "falsch".

 

Und das ist gar nicht so einfach, denn wir alle suchen wohl immer wieder nach einer Stimme, die uns ruft; Hand, die uns führt; Person, die uns sagt, was wir tun sollen... Was bleibt schließlich anderes, wenn wir selber ratlos sind?

 

"Meine Schafe kennen meine Stimme".

 

Ich habe jahrelang gedacht, wenn ich nicht glaube, dass Gott mich ruft, dann habe dieser Satz keine Bedeutung für mich, es sei der Preis, den ich zahlen müsse. Aber neulich fiel mir etwas ein... : Ich kenne Gottes Stimme nicht. Und ich glaube nicht, dass er durch irgendwen zu mir spricht... Aber hier ist alles voller Stimmen. Es gibt eine Million Ratgeber für und gegen alles. Sieben Milliarden Meinungen,  wie ich mein Leben führen sollte und wohl unendlich viele Möglichkeiten, jede einzelne schön bunt und mit ihrem eigenen happy-mit-dem-Happy-Meal-Werbejingle.

 

Und wenn ich nicht weiter weiß und tausend Stimmen brüllen "RECHTS" und tweitausend Stimmen kreischen "LINKS", fünfhundert Stimmen säuseln "HOCH" und dreitausend Stimmen schmeicheln "TIEF" wem folge ich dann, wenn ich total ratlos bin?

 

Den lautesten Stimmen?

Den meisten Stimmen?

Den melodischsten Stimmen?

Den verlockensten Stimmen?

Den hartnäckigsten Stimmen?

Den kreativsten Stimmen?

 

Immer abwechselnd?

 

Keine Ahnung...

 

... Naja ... Aber DANN wurde mir klar, dass DAS ja auch nicht stimmt...

 

Ich meine:

Wessen Stimme KENNE ich denn?

Wessen Stimmen VERTRAUE ich denn?

Und wessen Stimme FOLGE ich denn, wenn sie mich ruft, weil ich glaube, dass sie mich nicht in die Irre führen wird, sondern Gutes beabsichtigt?

 

Und die Antwort ist nicht "Gott" - die Antwort ist viel profaner. Sie besteht aus einer Liste von ein paar Namen - von Menschen, die mir wichtig sind - und denen ich wichtig bin. Und wenn DIE rufen "Susanne!!!! Komm raus, es gibt Würstchen!!!!" - DANN lasse ich manchmal einfach alles stehen und liegen, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich nicht "eigentlich" schlafen sollte.... Weil DIESE mein Bestes im Sinn haben. Und weil ich blind darauf vertrauen kann, dass es das gibt, was SIE versprochen haben. Nicht das Himmelreich. Aber einen Abend mit Grillen und Lachen, mit Bier und Nudelsalat. Vielleicht sogar einen mit singen bis morgens um vier und Sonnenaufgang über den Dächern der Stadt. Weil SIE mich kennen. Weil SIE mich mögen. Weil SIE mich brauchen. Was könnte wichtiger sein?

 

Ich glaube der Mensch hat die Neigung auf der Suche nach Wahrheit und Leitung  sonst was zu tun und auf sonst wen zu hören.

- Warum tun wir das so gern? Warum wollen wir glauben, dass irgendein Guru in Hinterindien beurteilen kann, was gut für uns ist?  Besser als die Menschen an unserer Seite, die uns mögen obwohl sie uns kennen?

 

Oder - einfach gesagt:

 

Wenn ich nicht glaube, dass da Gott spricht - warum höre ich dann nicht einfach auf die Tante, die ich bewundere?

Wenn ich nicht erwarte, dass eine Pilgerreise mich weiterführt, warum fahre ich dann nicht mit meinem Mann ans Meer?

Und wenn ich nicht denke, dass ein Guru klüger ist, als meine Freundin, warum frage ich dann nicht sie?

 

Ich hab nämlich einige kluge Menschen um mich herum. Und denen vertraue ich.

 

Und so brauche ich wohl gar nicht den "guten Hirten", wenn ich Rat suche. - Ich suche lieber nach dem einen Schaf aus meiner Herde, das vielleicht schon mal die Blumen dahinten probiert hat und mir verraten kann, ob einem davon übel wird. Weil auch nicht Gott. Aber in diesem Punkt klüger als ich.

 

Vielleicht ist es das wuschelige Schaf mit dem braunen Fleck dort neben mir.  Das Schaf, mit dem ich schon hundert mal um die Wette gerannt bin. Das was mich neulich gefragt hat, wo man sich bei Regen am besten unterstellt. Es mag mich, obwohl ich manchmal echt schwierig sein kann...

 

Und ich kenne seine Stimme. Und  es kennt mich. Und ich folge ihm...